
Titelthema:
Herausforderung
Erziehung
von Isabelle Steinmill
Viele Kinder und Jugendliche machen
wenigstens eine Phase durch, in der
sie permanent Computerspiele spielen.
In nicht gerade wenigen Familien
kracht es regelmäßig, weil Eltern andere
Beschäftigungen als wichtiger
und gewinnbringender erachten
und Suchtverhalten fürchten. Dass es
nicht die Lösung aller Probleme sein
kann, das Computerspielen komplett
zu verbieten, können sich die meisten
denken. Aber wie gelingt ein einigermaßen
konfliktfreies Leben, ohne
dass der Nachwuchs Schaden nimmt?
Eine aktuelle Längsschnittstudie des
Deutschen Zentrums für Suchtfragen des
Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum
Hamburg-Eppendorf untersucht
Mediennutzungs- und Suchtverhalten von
Heranwachsenden. Dabei muss man wissen,
dass das „Gaming Disorder“ laut der
elften Version der internationalen statistischen
Klassifikation der Krankheiten und
verwandten Gesundheitsprobleme (ICD-
11) eine anerkannte Erkrankung ist und
Game over?
Über Gaming und Gamingsucht
Diagnosekriterien dafür festlegt.
Die Studie zeigt unter anderem, dass
Kinder und Jugendliche im Alter von zehn
bis 17 Jahren in Deutschland im letzten
Jahr werktags durchschnittlich 105 Minuten,
am Wochenende fast drei Stunden mit
Gaming verbrachten. Guten drei Prozent
von ihnen könne man eine „pathologische
Nutzung“ nachweisen. Jungen seien fast
doppelt so häufig betroffen wie Mädchen.
Eltern würden ihre Kinder häufig kaum begleiten,
sich zu wenig informieren und die
Medienkompetenz der Kinder wenig fördern,
die in Zeiten von Cybergrooming, Cybermobbing,
Kostenfallen und Fake News
immer wichtiger wird.
kinder digital begleiten
Dr. Jakob Florack, Chefarzt an der Klinik
für Kinder- und Jugendpsychiatrie am
Sankt Joseph Krankenhaus in Berlin, der
sich unter anderem auf Videospiel- und
Internetabhängigkeit spezialisiert hat,
plädiert dafür, die Kinder schon früh begleitet
mit digitalen Medien vertraut zu
machen, damit sie die Medienkompetenz
entwickeln, die sie in unserem Zeitalter
benötigen.
Wenn Eltern das Gefühl haben, sich
selbst nicht auszukennen und befürchten,
den Nachwuchs nicht angemessen begleiten
zu können, empfiehlt er die Internetseite
„Schau hin!“. Dieselbe entspringt einer Initiative
des Bundesministeriums für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend und anderen
Partnern. Eltern finden dort alltagstaugliche
Tipps und Empfehlungen, wie sie Kinder
im Umgang mit digitalen Medien begleiten
können. Es gibt dort auch jede Menge Informationen
zu einzelnen Games, Online-Plattformen
oder auch zu Gefahren im Netz.
In Beziehung bleiben
Florack weiß auch, dass in Familien eine
negative Dynamik entstehen kann, wenn
Eltern dem Interesse des Kindes hauptsächlich
ablehnend gegenüberstehen. In
vielen Fällen würden sie dann den Draht
zum Kind verlieren und immer weniger
wissen, was dieses hinter verschlossenen
Türen eigentlich treibt. Zudem würde
in einem solchen Fall die Enttäuschung
der Eltern über den Rückzug des Kindes
immer mehr wachsen, was die Situation
noch verschlimmern könne.
Nicht selten entstehen in Familien so
Konflikte, die sich gar nicht primär um das
Gaming an sich drehen. Wird als vermeintlich
pädagogische Maßnahme immer wieder
ein „Zock-Verbot“ in den Raum gestellt,
wird das Computerspielen zum einen unglaublich
aufgewertet, zum anderen wird
es Teil eines unangenehmen Machtkampfes,
der die Beziehung zum Kind bedroht.
Nicht umsonst warnt eine Broschüre des
Gesundheitsamtes, die bei der Einschulungsuntersuchung
überreicht wird, davor,
das Gaming oder Mediennutzung generell
zu instrumentalisieren.
Verständnis entwickeln
Einigermaßen Verständnis für die Interessen
des Kindes zu haben, auch wenn es
nicht die eigenen sind, kann verhindern,
dass eine Mauer zwischen Eltern und Heranwachsenden
entsteht.
Marcus Richter ist freier Redakteur,
Moderator und Podcaster. Er moderiert
unter anderem beim Deutschlandfunk
Kultur die Sendung „Breitband“, in der
Sendung „Kompressor“ rezensiert er regelmäßig
Computerspiele. Zusammen mit
seiner Partnerin Patricia Cammarata hat
er, angelehnt an deren Sachbuch „Dreißig
22 Herausforderung Erziehung Luftballon | Oktober 2025
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