
Raus ins
Grüne
Im Wood Wide Web
Im Wald kann man vielfältige Sinnes-Erfahrungen machen
Titelthema:
22 Raus ins Grüne Luftballon April/Mai 2025
© istockphoto.com/ lewkmiller
von Christina Stefanou
Bäume, die ihre Kollegen vor Gefahren
warnen und fleißige Waldarbeiter.
Durchs Unterholz streunen,
die Geschenke des Waldes entdecken
und die Frage nach der „Frau
vom Hirsch“. Der Wald ist voller
Geheimnisse.
Was Bäume können, ist wundersam und
wird gerade erst so richtig erforscht. Schon
mal vom Wood Wide Web gehört? Es gibt
tatsächlich eine Art Internet für Bäume,
meint der Förster Peter Wohlleben. Bekannt
wurde er durch sein Buch „Das geheime
Leben der Bäume“, das wochenlang
auf der Bestsellerliste stand. Der Waldboden
ist von einem riesigen Netz aus Pilzen
durchzogen. Damit schicken die Bäume
Informationen an ihre Baumkollegen im
Wald. In einem Teelöffel Waldboden stecken
mehrere Kilometer Pilzleitungen,
sagt er.
Quer durchs Unterholz
Vielleicht können wir das Wood Wide
Web ja entdecken, wenn wir einfach mal
vom Waldweg abbiegen und quer durchs
Unterholz marschieren? Das dürfen wir
in Deutschland, wenn es zum Zweck der
Erholung geschieht und wenn wir dabei
keine Kulturen, ausgeschilderte Wildruhezonen
oder geschützten Biotope betreten,
erklärt uns Förster Kenan Dietz vom Haus
des Waldes. Tatsächlich, in der Handvoll
Waldboden, die wir aufheben, finden wir
braune Erde, einige Buchenblätter in unterschiedlichem
Zustand, Rindenstücke,
ein paar Käfer und dazwischen sind winzige
kleine weiße Pilzfäden. Das soll also
das Waldinternet sein. Über dieses Netz
erfährt ein Baum zum Beispiel, wenn in
ein paar hundert Metern Entfernung eine
Horde Käfer im Anmarsch ist und so kann
er sich mit Abwehrstoffen wappnen, erklärt
Wohlleben.
Und er erzählt noch mehr Erstaunliches:
Bäume haben sogar eine Art WLAN,
um miteinander zu kommunizieren. Wenn
plötzlich viele Raupen an den Blättern einer
Ulme knabbern, ruft sie um Hilfe. Sie
macht das per Duftstoff, den sie aussendet.
Dadurch informiert sie Schlupfwespen, hier
gibt es eine leckere Raupenmahlzeit. Die
umherschwirrenden Fliegen, auf die wir
auf der Lichtung treffen, sind also vielleicht
gar nicht zufällig hier, sondern unterwegs
in geheimer Mission, weil sie eine Baumnachricht
empfangen haben?
Noch tiefer im Wald treffen wir auf
eine große dicke Buche. Direkt neben ihrem
Stamm wächst ein kleines Bäumchen.
Sicher ist es aus einem Buchensamen entstanden,
der hier irgendwann zu Boden
fiel. Dieser junge Baum, der mitten im
Wald unter seinem Mutterbaum steht, bekommt
niemals genügend Sonnenlicht,
um zu gedeihen. Aber zum Glück sorgen
sich Bäume sogar um ihren Nachwuchs,
sagt Wohlleben. Damit er dort unten am
Waldboden nicht abstirbt, ernährt ihn sein
Mutterbaum über die Wurzeln mit einer
Zuckerlösung, bis er groß genug ist.
Buchen erkennen wir gut, Eichen
auch. Bei den Nadelbäumen wird es schon
schwieriger. Was ist der Unterschied zwischen
Fichte, Tanne und Kiefer? „Kiefernnadeln
sind lang und dünn“, erläutert
Dietz, „die Fichte hat harte spitzige Nadeln
und Tannennadeln sind eher weich,
flach und wachsen seitlich, sodass man am
Zweig einen Scheitel erkennen kann.“ In
unseren Wäldern gibt es gut 53 Prozent
Nadel- und knapp 47 Prozent Laubbäume.
Das war nicht immer so. Unser Urwald bestand
früher hauptsächlich aus Buchenwäldern.
Fichte, Tanne und Co wurden erst im
Laufe der Jahrhunderte angepflanzt, weil
sie einen größeren Holzertrag brachten.
Auf jeden Fall haben wir den Wald praktisch
überall vor unserer Haustür. Baden-
Württemberg zählt zu den waldreichsten
Bundesländern in Deutschland mit rund
14.000 Quadratkilometern Wald, sieben
Naturparks und einem Nationalpark.
Sinnestüren öffnen und eintauchen
Wenn Bäume all diese erstaunlichen Dinge
können, ist es gar nicht verwunderlich,
dass uns Menschen ein Aufenthalt im
Wald so gut tut. „Schon ein kurzer Spaziergang
im Wald sorgt nachweislich für
Stressabbau“, sagt die Diplom-Biologin Karin
Greiner. Die Pflanzenexpertin hat ihr
Wissen über den Wald als Kraftquelle in
einem Buch gesammelt. „Wald tut gut!“
gibt Anregungen, im Wald alle Sinne zu
öffnen und zu schärfen. Dann, so ist sie
sich sicher, „entfaltet er eine ganzheitliche
Wirkung auf unseren Körper und unseren
Geist.“ Die wohltuenden Substanzen des
Waldes sollen die Aktivität der Killerzellen
in unserem Körper erhöhen und damit die
Abwehrmechanismen fördern.
Um den Wald zu erleben, braucht es
eigentlich nicht viel Anleitung, nur ein
bisschen Achtsamkeit und einige Impulse.
Wir Menschen nehmen unsere Umgebung
hauptsächlich durch das Sehen wahr.
„Wie beim Sport, kann auch beim Streifzug
durch die Natur etwas Aufwärmtraining
helfen, um andere Sinne zu schärfen“,
meint die Waldexpertin. Das möchten wir
auch versuchen. Wir schließen die Augen
und schon entdecken wir den kleinen, vom
Boden aufgehobenen Zweig in ganz neuen
Dimensionen: Wie hört es sich an, wenn
wir über die Nadeln streichen oder welke
Blätter zerdrücken? Können wir das Holz
oder das Harz riechen? Fühlen sich die
Nadeln pieksig an? Und schmeckt es bitter
oder sauer, wenn wir draufbeißen? Das
aber bitte nur nachmachen, wenn man absolut
sicher ist, dass es genießbar und ungiftig
ist!
Die fleißigsten Waldarbeiter
Auf der Suche nach Tieren schleichen
wir weiter. Hasen, Mäuse, Marder,